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Intellektuelle Selbstverzwergung

Mittwoch, 20 September 2023

Selbstverzwergung durch Angst

Wer Angst hat, erlebt Stress. Im komplexen Zusammenspiel von Intelligenz, Verstand und Emotionen setzen sich unter Stress meist die Emotionen durch. Etwas provokativ brachte es Christina Neuhaus in ihrem Leitartikel in der Neuen Zürcher Zeitung am 2. September 2023 auf den Punkt: "Angst führt zu intellektueller Selbstverzwergung." Sie bezieht sich auf den politischen Kontext. Dieser ist hier nicht das Thema, sondern das, was mit uns geschieht, wenn wir uns aus Angst zu stark einschränken.

Irrationale negative Spirale

Fast täglich sind Selbsteinschränkungen im Coachingraum Thema. Ein oft genanntes Beispiel von Coachingkund:innen ist, dass wir uns davor fürchten, was andere denken könnten. Was sich die Teamkolleg:innen womöglich hinter vorgehaltener Hand zuflüstern. Ob mutiges Verhalten meinen Job gefährden könnte. Oder wie das, was wir als Firma tun, in sozialen Medien aufgenommen werden könnte…

Wir verhalten uns unter Stress dümmer als wir sind. Bemerken wir unsere Unfähigkeit mit einer Situation rational umzugehen, verstärkt dies den Stress zusätzlich. Und schon ist eine negative Spirale der Selbstverzwergung in Gang gesetzt. Das gilt für Einzelpersonen, Teams, oder ganze (Unternehmens-)kulturen gleichermassen.

Zwei Betriebssysteme

Das liegt an unserem Gehirn. Dieses hat vereinfacht gesagt zwei Betriebssysteme:

  • Den Verstand. Er ist bewusst und relativ langsam, etwa so wie ein alter Computer. In diesem Hirnbereich sitzt auch unser Sprachzentrum.
  • Das emotionale Erfahrungsgedächtnis. Emotionen wie Angst sind schnell, sie sind immer auch körperlich wahrnehmbar. 

Die beiden Betriebsysteme können unter Normalbedingungen gut miteinander zusammenarbeiten. Wie das funktionieren kann, wenn der Kopf und das Herz Hand in Hand gehen, habe ich in diesem Blogbeitrag aufgezeigt. Unter Stress hingegen dominiert das schnellere, emotionale Betriebssystem. Unser Verstand wird von Alarmbotschaften aus dem Angstzentrum übersteuert.

Die Spirale durchbrechen

Wir Menschen haben die Fähigkeit, diese Spirale zu durchbrechen. Dazu braucht es erstens das Bewusstsein, wie das geschieht. Und zweitens intelligente Verhaltens-Strategien, wie wir uns beim Aufkommen von Stress verhalten können, um unsere Ziele besser zu erreichen.

Beispiel aus dem Coachingraum

Ich erlebe viele Führungskräfte im Coachingraum, die ihre körperlichen Signale am Anfang nicht oder nur zögerlich lesen können. Im Coaching lernen sie, typische Symptome und eigene Verhaltensmuster schnell zu erkennen. Der MindMove besteht darin, die Symptome ernst zu nehmen und daraus intelligente Verhaltens-Strategien abzuleiten sowie umzusetzen.

Nehmen wir zum Beispiel Frank. Er möchte seinem Chef ehrlich Feedback geben. Sitzt er dann jedoch im Chefbüro, feuern in Frank’s Gehirn Alarmsignale. Sie lassen ihn irrational handeln. Unter Stress spürt er, wie sein Herz rast. Er nimmt er sich zurück, redet um den heissen Brei, senkt den Kopf und verliert den Augenkontakt. Er „verzwergt“ sich selber durch seine von Angst genährten Gedanken – seine Vorbereitung für das Gespräch hat er schon lange vergessen.

Im Coachingraum reift sein Bewusstsein für seine Verhaltensmuster und er kann die Situationen üben. Gemeinsam bereiten wir ihn auf Gegenfragen des Chefs vor. Frank entwickelt Strategien, die er anwenden kann. So dass er beim nächsten Mal, wenn er mit dem Chef spricht und sein Herz rasen spürt, das Geübte abrufen kann. Zu Beginn des Feedbackgesprächs setzt sich Frank aufrecht hin. Er atmet bewusst durch. Er ruft ein Bild ab, das für ihn Grösse und Ruhe symbolisiert. Er kann „im Verstand“ bleiben und sein Feedback wie gewünscht geben. 

Hebelwirkung "Führung"

Ich möchte noch anfügen, dass es schlussendlich um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Emotionen und Verstand geht – dass eben Kopf und Herz Hand in Hand gehen. Dies ist insbesondere wichtig für Führungskräfte. Denn ob sie wollen oder nicht, sie haben jederzeit eine Vorbildwirkung. Deshalb ist ihr eigener Umgang mit Emotionen eine zentrale Führungskompetenz. Überintellektuelle Chefs können genauso toxisch wirken wie überemotionale Vorgesetzte.

Mut statt Selbstverzwergung

Unabhängig davon, ob du Führungsverantwortung trägst oder nicht: Was wäre, wenn es dir gelingen würde, mutiger zu sein? Zu sagen, was du denkst, ohne zu werten? Was wenn du bewusster wahrnimmst, wann und wie du dich klein machst?

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